Die Geschichte
Die Geschichte beginnt in dem Tempel mit dem Dialog zwischen Iphigenie, der
Priesterin der Göttin Diana, und Arkas, der der Freund und Ratgeber des Königs Thoas von
Tauris ist. Arkas rät Iphigenie, Thoas zu heiraten, auch wenn er ihr die Möglichkeit
gegeben hat, nach Hause zurückzukehren. Iphigenie, die bisher ihre Vergangenheit
verschwiegen hat, erzählt Thoas nun ihre ganze Geschichte: in ihrer Familie gab es
Verrat, Morde und Brudermorde; außerdem hatte Agamennon sie Diana geopfert, damit die
griechischen Schiffe mit Hilfe des Windes abfahren konnten. Danach kommen Orest und
Pylades, Bruder und Freund Iphigenies, aus Argos an, um laut Apollos Prophezeiung die
Schwester abzuholen, die Gefangene in Tauris ist. Orest und Pylades denken, daß sie die
Statue von Diana, Apollos Schwester, abholen müssen, aber wegen des Gesetzes von Tauris
müssen alle Fremden, die die Insel betreten, zum Tod verurteilt werden. Sie hoffen, daß
die Priesterin von Diana ihnen mit dem Gebet helfen konnte. Deshalb trifft Pylades
Iphigenie und sie sprechen über die letzten Ereignisse: den Fall Troias, Agamennons Mord,
durch Klytemnestra zusammen mit ihrem Geliebten Egisto ausgeführt, um das Königsreich zu
übernehmen. Iphigenie offenbart sich dem Bruder Orest, aber er will sterben, deshalb ruft
er die Furien an und er beginnt, irre zu reden. Iphigenie betet zu Diana, um Orest zu
retten. Sie umarmt ihn in geschwisterlicher Liebe und er fühlt, daß er noch leben will.Sie
arbeiten einen Plan aus, um zu entfliehen und die Statue von Diana zu entwenden, aber
Iphigenie geht zu Thoas, um ihm die Wahrheit zu erzählen, weil sie nicht wegfahren und
zur Verräterin werden will.
Der König will nicht, daß sie Tauris verlässt, er schlägt ihr vor, ihn zu heiraten
und er droht ihr auch an, Orest und Pylades zu töten. Plötzlich kommen Orest und
Pylades, um ihren Fluchtplan zu verwirklichen: bevor das Duell anfängt, bittet Iphigenie
den König Thoas und ihren Bruder Orest, beide von der Wut geblendet, nicht zu kämpfen
und sie frei nach Hause zurückkehren zu lassen. Thoas ist am Ende davon überzeugt, daß
alle drei in ihre Heimat in die Freiheit zurückkehren sollen. Er ist bereit, auf
Iphigenie zu verzichten, um die Harmonie wieder herzustellen.
Personen
Iphigenie
Sie ist untergeben, bescheiden, ehrlich und der Diana treu. Thoas bittet sie, ihn
zu heiraten, aber sie akzeptiert es nicht, weil sie nur eine brüderliche Liebe für ihn
fühlt.
Außerdem möchte sie in ihre Heimat zurückkehren, um frei zu sein.
Sie ist melancholisch und traurig, weil sie weit von der Heimat und der Familie ist.
Sie folgt den klassischen Idealen der Harmonie (sie bittet Thoas und Orest, sich nicht zu
duellieren, um den Frieden zu erhalten) und sie kämpft für Freiheit und Brüderlichkeit.
Orest und Pylades
Sie sind mutig und stolz, sie suchen die Gerechtigkeit. Sie folgen
auch den klassichen Idealen von Freiheit und Brüderlichkeit, aber sie sind nicht so
unterwürfig wie Iphigenie, die sich nur auf das Gebet und den Dialog beschränkt und
ruhig bleibt, sondern sie sind bereit, einen Krieg auszulösen, um das zu erreichen, was
sie wollen.
Thoas
Er ist der König von Tauris. Er ist autoritär und streng, aber am Ende des
Dramas erweist er sich als gerecht, ehrlich und korrekt. Er liebt Iphigenie und er möchte
sie heiraten, aber er verzichtet auf seine Liebe, um ihr ein besseres Geschenk, d.h. die
Freiheit zu geben. Er ist stolz und legt Wert auf Ehre (er will sich mit Orest und Pylades
duellieren), aber nach der Bitte Iphigenies versteht er, daß der Friede und die Harmonie
für seine Heimat und sein Volk das wichtigste sind.
Die Struktur des Dramas
Das Drama ist in fünf Aufzüge geteilt, was dem aristotelischen
Dramenmodell entspricht.
Der Aufbau des Dramas ist streng symmetrisch: um Iphigenie als Mittelpunkt gruppieren sich
die einzigen vier anderen Akteure in zwei Paaren Thoas mit seinem Vertrauten Arkas
auf der einen, Orest und Pylades auf der anderen Seite.
Was den Inhalt betrifft, respektiert Iphigenie auf Tauris das
klassische Modell nicht, indem die Lösung nicht katastrophisch ist.
Zusammenfassung jedes Aktes:
- Iphigenie, Arkas, Thoas
Iphigenie, die Priesterin des Diana Tempels, spricht mit Arkas, dem Ratgeber des Königs
der Taurier Thoas. Arkas will sie überzeugen, den Vorschlag Thoas zu akzeptieren, den
König zu heiraten. Iphigenie weicht aber auch vor der Beharrlichkeit von Thoas zurück,
aus dem Grund, daß sie von einem gewalttätigen Geschlecht abstammt und daß ihr Leben
Diana geweiht ist.
- Iphigenie, Orest, Pylades
Orest, Bruder von Iphigenie, und Pylades, sein Freund, kommen in Tauris an und treffen die
Priesterin, die sie um Auskunft über das Ergebnis des Krieges von Troia bittet.
- Iphigenie, Orest, Pylades
Hier erreicht die Geschichte den Höhepunkt, indem Orest und Iphigenie sich als
Geschwister erkennen. Sie ist zugleich glücklich und verzweifelt, da sie ihren Bruder der
Göttin opfern muß.
- Iphigenie, Arkas, Pylades
Iphigenie versucht, das Opfer zu verzögern, damit Orest und Pylades flüchten können.
- Iphigenie, Arkas, Pylades, Thoas, Orest
Thoas wird argwöhnisch und Iphigenie offenbart ihm den Plan, um Orest und Pylades
flüchten zu lassen. Orest, bewaffnet, ist bereit zu kämpfen, aber Thoas erbarmt sich und
lässt die drei heimkehren.
Dieses Drama respektiert die drei aristotelischen Einheiten von Handlung, Zeit und Ort.
Es gibt nur eine Protagonistin, Iphigenie, und nur eine Geschichte; die Zeit der Handlung
überschreitet nicht die vierundzwanzig Stunden; der Ort bleibt immer der Hain vor Dianas
Tempel in Tauris.
Die Sprache
Dieses Drama ist in Versen geschrieben. In den Monologen und Gebeten hat Goethe vier- oder
dreihebige daktylisch- trochäische Tempi abgewechselt, der Rest des Werkes ist in
fünfhebigen jambischen Blankversen. Auf der Scheitelhöhe der dramatischen Entwicklung
erscheint eine strophisch gegliederte Liedform:
1726 |
Es fürchte die Götter |
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Das Menschengeschlecht |
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Sie halten die Herrschaft |
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In ewigen Händen |
1730 |
Und können sie brauchen |
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Wies ihnen gefällt. [...] |
1754 |
Es wenden die Herrscher |
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Ihr segnendes Auge |
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Von ganzen Geschlechtern |
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Und meiden, im Enkel |
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Die ehmals geliebten |
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Still redenden Züge |
1760 |
Des Ahnherrn zu sehn. |
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So sangen die Parzen! |
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Es horcht der Verbannte, |
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In nächtlichen Höhlen |
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Der Alte die Lieder, |
1765 |
Denkt Kinder und Enkel |
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Und schüttelt das Haupt. |
Die Verse von dem "Lied der Parzen" sind Dipodien, die aus einem Jambus,
einem Anapäst und einer unbetonten Silbe bestehen, außer den Versen 1727, 1731, 1760 und
1766, die aus einem Jambus und einem Anapäst bestehen. Die zahlreichen Enjambements
verknüpfen oft die Verse zu größeren rhythmischen Einheiten, in einem edlen,
wohllautenden Parlando dahin. Maß, Harmonie und Gelassenheit charakterisieren die Form
dieses klassischen Dramas; die Sprache ist gehoben.
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Johann Wolfgang von Goethe
b. 28 August 1749 Frankfurt am Main - d. 22 March
1832 Weimar |